Als Babylonier und Chinesen im dritten Jahrtausend vor Christi den internationalen Handel als attraktive Einkommensquelle für sich entdeckten, stellten sie schnell fest, dass große Chancen oft auch mit großem Risiko einhergehen. Die Handelswege waren damals alles andere als sicher, und so konnte es leicht passieren, dass ein wohlhabender Unternehmer innerhalb kurzer Zeit sein komplettes Vermögen verlor.

Solche Erfahrungen schmerzen, und daher ersann man schnell Abhilfe – die Versicherung war erfunden. Zunächst in etwas anderer Form, als wir sie heute kennen: Chinesische Händler, die auf ihren Handelswegen gefährliche Stromschnellen zu überqueren hatten, verteilten ihre Waren gleichmäßig auf viele kleine Boote, um den Verlust einer Ladung verkraften zu können. Die Babylonier, die für ein umfangreiches Geld- und Bankensystem bekannt sind, entwickelten folgende Kreditausfallversicherung: Wenn ein Händler ein Schiff auf Kredit kaufte, bezahlte er seinem Gläubiger eine kleine Prämie dafür, dass dieser von weiteren Forderungen absehen würde, wenn das Schiff gestohlen wurde.

Ältester erhaltener Versicherungsvertrag von 1347

Der älteste erhaltene Versicherungsvertrag stammt aus Genua und versicherte das Handelsschiff „Santa Clara“ im Jahre 1347 gegen Raub, Untergang und ähnliches Ungemach. Bis ins 19. Jahrhundert waren Versicherungen allerdings noch nicht sehr stark verbreitet, was größtenteils auf die mathematischen Beschränkungen zurückzuführen ist. Erst mit der Entwicklung der modernen Wahrscheinlichkeitsrechnung wurde es für Versicherer und Versicherte gleichermaßen möglich, Risiken zu erkennen, Beiträge zu berechnen und eine Versicherung profitabel aufzustellen.

Doch woher kommt eigentlich die Idee, sich zu versichern? Sind wir nicht alle eigenverantwortlich für unser Handeln und müssten wir nicht eigentlich für jeden Schaden, der uns entsteht, oder für den wir verantwortlich sind, einstehen?

Im klassischen Verständnis von Verantwortung und Haftung wäre dies sicher richtig, doch die Menschen sind zum einen soziale Wesen und zum anderen können sie rechnen. Wenn zum Beispiel Herr Barmer beobachtet hat, dass in seiner Stadt mit 100.000 Einwohnern jedes Jahr ungefähr 1.000 Menschen an Windpocken erkranken und die Behandlungskosten für Windpocken (Medikamente, Ärzte, etc.) bei ungefähr €600 liegen, dann kann er eine Windpockenversicherung anbieten, die in etwa so aussieht: Jeder der 100.000 Menschen zahlt einen jährlichen Beitrag von €6 in einen Geldtopf und wenn einer an Windpocken erkrankt, wird aus diesem Topf seine Arzt- und Medikamentenrechnung bezahlt. Auf diese Weise kann man das Risiko, neben der Krankheit auch noch finanzielle Schwierigkeiten zu bekommen, drastisch reduzieren.

Bei Atomkraftwerken versagt die Wahrscheinlichkeitsrechnung

Dies ist aber eben nur möglich, wenn man relativ genau festlegen kann, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Ereignis eintritt. Es gibt zum Beispiel keine Versicherungen, die Atomkraftwerke absichern. Der Schaden durch eine Kernschmelze ist zwar unermesslich hoch, die Eintrittswahrscheinlichkeit lässt sich jedoch nicht bestimmen. Außerdem sind die finanziellen Folgen eines Super-GAUs so groß, dass sie weder der Betreiber des Atomkraftwerkes noch eine Versicherungsgesellschaft tragen könnte. Der weltgrößte Versicherungskonzern Allianz SE macht einen jährlichen Umsatz jenseits der 100-Milliarden-Euro-Marke, die Kosten des Super-GAUs in Tschernobyl werden mit 5 Billiarden Euro angegeben, die in Fukushima entstandenen Schäden sind noch nicht einmal ansatzweise berechnet.

Versicherungen können also nur Fälle versichern, deren Eintrittswahrscheinlichkeit einigermaßen fest und konstant ist. Aus diesem Grund sind in den letzten Jahren auch die Beiträge für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung stark angestiegen – die Kosten haben sich durch die längere Lebenserwartung und neue Medikamente drastisch erhöht. Bessere Versicherungen führen hier also paradoxerweise zu steigenden Ausgaben.

Alle Nachteile des Versicherungssystems sind aber einem Zustand vorzuziehen, in dem es keine Versicherungen gäbe. In einem solchen Fall wäre fast jede schwerere Krankheit ein (finanzielles) Todesurteil, jeder Autounfall eine existenzbedrohende Katastrophe und jeder Hagelschaden ebenso. Erst durch die Möglichkeit, Risiken einzelner Menschen auf eine Gruppe zu verteilen, hat uns unseren gegenwärtigen Stand ermöglicht.

Vor der Versicherung sind manche gleicher

Kontrovers diskutiert werden häufig die unterschiedlichen Beitragssätze zwischen Männern und Frauen, jungen und alten Versicherten sowie verschiedenen Berufsgruppen. Viele Kritiker dieser Beitragsunterschiede werfen den Versicherungen vor, sie hätten das Prinzip der Versicherung, nämlich die gleichmäßige Verteilung der Risiken auf alle Versicherten, nicht verstanden, sondern würden gezielte Preisdiskriminierung betreiben. Doch diese Kritik ist falsch. Warum, kann man am besten bei dem Unterschied in den KFZ-Versicherungsprämien für Frauen und Männer erkennen:

Eine KFZ-Versicherung hat 50.000 Mitglieder, davon die Hälfte Männer, die andere Hälfte Frauen. Jedes Jahr gibt es 700 Unfälle, für die die Versicherung im Durchschnitt mit €2000 aufkommen muss. Davon sind 500 von Männern verursacht und 200 von Frauen. Jetzt hat die Versicherung zwei Möglichkeiten:

  1. Sie stellt jedem Versicherten eine Jahresrechnung von €28 (700 x 2.000 = 1.400.000; 1.400.000 / 50.000 = 28), dann muss jeder der Beitragszahler gleich viel zahlen oder
  2. Sie stellt den Männern eine Jahresrechnung von €40 (500 x 2.000 = 1.000.000; 1.000.000 / 25.000 = 40) und den Frauen eine Jahresrechnung von €16 (200 x 2.000 = 400.000; 400.000 / 25.000 = 16). Auf diese Weise kann sie die Männer zugunsten der Frauen stärker belasten, was aufgrund der Unfallstatistik auch gerechtfertigt scheint.

(Bei allen Berechnungen habe ich die Profitmarge der Versicherung außen vor gelassen. Diese muss natürlich immer hinzugerechnet werden.)

  • Dieser Mann war vielleicht schon versichert.Dieser Mann war vielleicht schon versichert.

Foto: Monica’s Dad / Flickr


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