Was tun, wenn es in Produktionsprozessen zu unerwarteten Ausfällen kommt? Bremer Wissenschaftler vom BIBA haben sich dieser Frage angenommen: Ziel ist die selbstorganisierte Problembehebung in der „Fabrik 4.0“
Man kennt es von Renovierungsarbeiten in einer neuen Wohnung: Irgendwas fehlt immer – entweder Material, das frühzeitig verbraucht ist, oder vielleicht ein Gerät, das den Geist aufgegeben hat. Während also jemand zum Baumarkt geschickt wird, um Ersatz zu beschaffen, arbeitet die restliche Crew erst einmal um das Problem herum.
In Fabriken geht es ganz ähnlich zu: Maschinen fallen plötzlich aus, zugelieferte Materialien haben nicht die geforderte Qualität, oder irgendetwas anderes geht schief. Je nach Fall kann die resultierende Produktionsunterbrechung Unsummen an Geld kosten. Beispielsweise, wenn es lange dauert, den Fehler zu finden, oder wenn Waren mit hohem Wert hergestellt werden.
Im Normalfall kümmert sich nun ein Teil der Belegschaft darum, den Fehler zu finden und zu beheben, während andere Mitarbeiter den Prozess so umorganisieren, dass möglichst wenig Zeit verloren wird. Weil das Ganze für Unternehmen sehr ärgerlich ist, verfolgen sie das Ziel, Produktionsausfälle nur in den geplanten Wartungsperioden zuzulassen – und diese möglichst kurz zu halten.
Bremer Wissenschaftler beim Zukunftsprojekt der Bundesregierung
Einen großen Fortschritt sollen dabei jetzt neue Technologien schaffen, die automatisch in den Produktionsprozess eingreifen, sobald ein Problem auftritt. Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ (oder auch „Fabrik 4.0“) arbeiten bereits viele Wissenschaftler und Unternehmen an Lösungen, um Fertigungsanlagen mit einer Art Intelligenz auszustatten.
Das Bremer Institut für Produktion und Logistik (BIBA), das bis zum letzten Jahr vom aktuellen Uni-Rektor Bernd Scholz-Reiter geleitet wurde, ist bei dieser Entwicklung ganz vorne dabei: Es beteiligt sich an einem rund 10 Millionen Euro umfassenden Projekt des Bundesforschungsministeriums. Dabei handelt es sich um eines der ersten drei „Industrie 4.0“-Zukunftsprojekte im Rahmen der Hightech-Strategie, mit denen die Bundesregierung in Deutschland die Entwicklungen für die „4. Industrielle Revolution“ vorantreiben will.
Zwanzig Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft sind an dem dreijährigen Verbundprojekt mit dem Titel „Cyber-Physische Produktionssysteme – Produktivitäts- und Flexibilitätssteigerung durch die Vernetzung intelligenter Systeme in der Fabrik“ (CyProS) beteiligt.
Die Palette entscheidet selbst, wohin sie fährt
Cyber-physische Systeme kennzeichnen sich dadurch, dass Gegenstände miteinander kommunizieren und auf Basis der gewonnenen Informationen selbstständig Entscheidungen treffen können. Ein einfaches Anwendungsbeispiel außerhalb der Fabrik sind selbststeuernde Rollstühle, die demente Bewohner eines Altenheims selbstständig zurück in ihr Zimmer befördern und dabei via Funk mit dem Gebäude (zur Orientierung) und mit entgegenkommenden Rollstühlen (zur Vermeidung von Kollisionen) in Kontakt treten.
Ziel des BIBA-Projekts ist es, solche Systeme zu entwickeln und die Basis für deren Einsatz in der Industrie zu schaffen. Ein großer Teil des Vorhabens beschäftigt sich auch mit der technischen Umsetzung und der sicheren Anwendung in einem realen Industrieumfeld. Das geschieht unter anderem in der Wittenstein AG (bei Würzburg) sowie im „Kompetenz- und Transferzentrum für Cyber-Physische Systeme in der Logistik“ am BIBA in Bremen. Dort werden die Hard- und Softwarekomponenten und Anwendungen prototypisch erprobt.
Weitere BIBA-Aufgaben in dem Projekt liegen in der Anpassung autonomer Steuerungsmethoden. Dadurch wird es beispielsweise möglich, dass Paletten oder Förderbänder selbstständig Steuerungsaufgaben übernehmen und kurzfristig auf Störungen reagieren können.
„Der Mensch wird keineswegs überflüssig“
In der mittleren Zukunft sollen Maschinen dann in der Lage sein, bei Bedarf einen Techniker zu rufen und parallel im Lager das erforderliche Ersatzteil zu bestellen. Zudem geben sie eine Meldung an das Netzwerk, das alle am Produktionsprozess beteiligten Systeme miteinander verbindet. Gemeinsam berechnen sie, wie die von der Störung betroffenen Arbeitsschritte optimal umorganisiert werden können.
In Eigenregie verteilen die Maschinen zum Beispiel die Arbeit auf andere Anlagen oder ziehen einzelne Fertigungsschritte vor. Das System steuert sich selbst, die Produktion läuft reibungslos weiter.
„Dabei wird der Mensch keineswegs überflüssig“, betont Marius Veigt, Mitglied der Gesamtprojektleitung. „Über multimodale Mensch-Maschine-Schnittstellen werden die Mitarbeiter in die Informationsflüsse einbezogen und können in die Prozesse eingreifen. Mobile Assistenzsysteme unterstützen sie bei ihrer Arbeit“, erklärt der BIBA Wissenschaftler.
Weitere Informationen: www.projekt-cypros.de