Mit rund einem Quadratkilometer Fläche ist der Campus der Uni Bremen relativ kompakt. Allerdings weist der Lageplan der Universität auf diesem Raum rund 70 kryptische Abkürzungen für Gebäude und Einrichtungen unterschiedlichster Art auf, von „AIB“ wie „Arbeitswissenschaftliches Institut Bremen“ bis „ZWB“ wie „Zentrum für Weiterbildung“. Und darin sind noch nicht einmal alle relevanten Adressen enthalten. […]
Mit rund einem Quadratkilometer Fläche ist der Campus der Uni Bremen relativ kompakt. Allerdings weist der Lageplan der Universität auf diesem Raum rund 70 kryptische Abkürzungen für Gebäude und Einrichtungen unterschiedlichster Art auf, von „AIB“ wie „Arbeitswissenschaftliches Institut Bremen“ bis „ZWB“ wie „Zentrum für Weiterbildung“. Und darin sind noch nicht einmal alle relevanten Adressen enthalten. Mein Verdacht: Wer neu ist, läuft sich erst einmal die Füße wund, bevor er (oder sie) sich zurechtfindet.
Ob das tatsächlich so ist, teste ich heute in einem Selbstversuch. Ich möchte 10 Orte auf dem Campus finden und mich dabei nur von den Wegbeschreibungen der neuen Studenten führen lassen. Mal sehen, wie gut die schon Bescheid wissen. Ich bin auch gespannt darauf, die Uni noch einmal mit „frischen“ Augen zu sehen. Folgende Ziele werde ich ansteuern:
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Das zentrale Prüfungsamt
- Die Bafög-Anmeldestelle
- Die Frauenbeauftragte der Universität
- Die Unibücherei und Bibliothek
- Das Fremdsprachenzentrum
- Die Mensa
- Die Gebäude GW1 und GW2
- Den Großen Hörsaal
- Die Gebäude NW1 und NW2
- Die Gebäude SFG und MZH
Als Startpunkt habe ich den Hauptbahnhof gewählt und der erste Zielpunkt ist also die Universität selbst.
Start am Bremer Hauptbahnhof
Also los! Es ist Mittwoch, 26. Oktober 2011, 12:30 Uhr und ich bin soeben auf dem Bremer Hauptbahnhof angekommen. Nun möchte ich herausfinden, wo die Universität ist. Eine junge Dame, die jeder anhand der Kombination aus billigen Kopfhörern, selbstgestricktem Schal und Apple-Tasche sofort als Studentin erkennen könnte, kann mir auch gleich den richtigen Weg zur Straßenbahn zeigen. Auf dem Weg dorthin stellt sich heraus, dass sie gar keine Studentin ist, sondern vielmehr eine Ausbildung zur Industriekauffrau macht. So kann man sich irren. Wie dem auch sei, sie führt mich jedenfalls zur Straßenbahnlinie 6 mit Endstation „Universität“ und hat mir damit schon sehr geholfen.
Nach gut dreizehn Minuten komme ich auf dem Unigelände an und sehe mich einem Klotz aus Glas gegenüber, an welchem ganz oben in transparenten Zeichen „Universität Bremen“ zu lesen ist. Mein erstes Ziel ist das zentrale Prüfungsamt, wonach ich auch sofort frage. Auch hier kann mir gleich jemand weiterhelfen. „Da gehste hier die Treppe hoch, dann links aufm Boulevard entlang und wieder links runter. Aber nicht gleich und auch nicht später, sondern so dazwischen. Das kann man von hier noch nicht sehen.“ Aha, denke ich und mache mich auf den Weg.
Auf dem Boulevard kann ich schon sehen, wo das Prüfungsamt ist, ein helles Schild über der Tür kennzeichnet es deutlich. Ansonsten ist es wenig einladend, die Beschriftung an der Tür stellt die Öffnungszeiten nur sehr kryptisch dar und es sieht recht finster aus. An die Wand neben der Tür hat jemand „Nie wieder Prüfungen!!!“ gesprayt.
Anstehen für Bafög
Als zweites muss ich zum Bafög-Amt. Also schnappe ich mir wieder einen armen kleinen Kerl, der es nicht schafft, schnell genug an mir vorbeizuhuschen, und nötige ihm eine Antwort ab. Anscheinend bin ich auf dem Weg zum Prüfungsamt am Bafög-Amt vorbeigelaufen. Wahrscheinlich habe ich es aufgrund der Menschenmenge davor nicht wahrgenommen. Bafög scheint beliebter zu sein als Prüfungen, allerdings sind die Öffnungszeiten hier, wenn ich sie richtig verstehe, auch nicht besser als beim Prüfungsamt. Mehrere der vor der Tür wartende Menschen haben große Reisetaschen mitgenommen. Was da wohl drin sein könnte? Entweder die benötigten Unterlagen für die Bafög-Beantragung oder ein Zelt und Schlafsäcke für längere Wartezeiten.
Ich muss weiter zum dritten Ziel, der Frauenbeauftragten. Den Weg dorthin kennt niemand, auch nicht die am hilfebedürftigsten aussehenden Damen, also muss ich sie selbst finden. Ich schaue über mein Handy im Internet nach, in welchem Gebäude die Frauenbeauftragte ihr Büro hat – im GW2. Dieses lässt sich sehr leicht finden, weil erstaunlich viele Studenten auch dorthin wollen. Hoffentlich gibt es etwas umsonst.
Von innen ist das GW2 nicht ganz so vielversprechend wie der hohe Andrang vermuten ließe. Es ist über und über mit Flyern, Aushängen, Notenlisten, Bekanntmachungen, Graffiti usw. bedeckt. Das einzige, was fehlt, sind hilfreiche Wegweiser. Man kann überall Damentoiletten, Ausgänge und Türme finden, einen Übersichtsplan oder ähnliches gibt es jedoch nicht. Also muss ich Flure der Reihe nach absuchen, deren Wände für eine Flut an Informationen über die unterschiedlichsten Angebote der Fachbereiche, neueste Forschungsergebnisse und grenzpolitische Meinungsäußerungen genutzt werden.
GW2: Ursprung der Kreativität
Eines muss man dem GW2 lassen: So chaotisch und heruntergekommen es teilweise auch aussieht, so engagiert und lebhaft müssen die Menschen sein, die hier täglich ein- und ausgehen.
Auf der dritten Etage finde ich zufällig das Fremdsprachenzentrum, diesen Punkt kann ich also auch streichen. In der vierten Etage – irgendwo zwischen dem Goethe- und Musikinstitut – fallen meine Augen auf große Plakate, welche für „Gleichstellung“, „Studieren mit Familie“ etc. werben. Hier muss es sein, denke ich und siehe da, keine drei Türen weiter steht an einem Schild in Schriftgröße zwei „Die Frauenbeauftragte“. Gefunden!
Weiter geht’s also mit 4.: Bücherei und Bibliothek. An der Bücherei komme ich zufällig vorbei, als ich den Fahrstuhl neben der Frauenbeauftragten ins Erdgeschoss nehme – abgehakt. Die Bibliothek zu finden ist da schon schwieriger. Ich frage eine der Mitarbeiterinnen, die gerade vorbeigelaufen kommt. Sie meint, die Bibliothek wäre gegenüber der Mensa, aber auch direkt hinter der Glashalle. Eins von beidem kann nicht stimmen, weil neben der Glashalle nicht die Mensa, sondern das GW2 ist, und da komme ich ja gerade her. Ist aber nicht schlimm, ich finde die Bibliothek schon wegen ihrer schieren Größe schnell.
Das Fremdsprachenzentrum käme jetzt an die Reihe, aber da war ich ja schon. Darüber bin ich auch sehr froh, weil ich für einen zweiten Ausflug ins GW2 vermutlich nicht genügend Proviant mitgenommen habe.
Hunger!
Also die Mensa. Ich frage einen besonders hungrig aussehenden Studenten, der vorbeiläuft, und lande damit einen Volltreffer. Er möchte gerade selbst zur Mensa und ich kann mit ihm gehen. Auf dem Weg dorthin versucht er mir zu erklären, wovon seine Doktorarbeit handelt, aber ich kann ihm leider nicht folgen.
Kurz rein in die Mensa, einen Pfannkuchen gekauft (Pfannkuchen heißen in Bremen „Berliner“, das ist lustig) und wieder raus. Jetzt muss ich das GW1 finden, welches ich direkt neben dem GW2 vermuten würde. Nachdem die ersten zwei Passanten beim Wort „GW1“ verschreckt den Kopf geschüttelt und das Weite gesucht haben, spreche ich zwei jugendliche Studentinnen an, die gerade einen Plan vor sich ausgebreitet haben. Im Register finden wir das GW1 und orten es auf dem Plan unten links.
Pausengespräch unter NaWis
Mit der groben Richtung im Kopf gehe ich los und komme an einem großen Unigebäude vorbei, an welchem allerdings in hellen Buchstaben nicht „GW1“, sondern „NW1“ steht. Auch nicht schlecht, das ist ja auch auf meiner Liste. Beim Hineingehen kann ich ein paar Gesprächsbrocken der draußen stehenden Raucher aufschnappen. Es ist sehr bezeichnend, über welche Themen sich die Raucher vor den Gebäuden der Uni unterhalten. Während mir aus dem GW2 noch die Diskussionen über eine effizientere Integration der türkischen Bourgeoisie in die nordrhein-westfälischen Großstädte im Ohr hängt, verläuft das Gespräch vor dem NW1 in etwa so:
Vollbart, lange Haare: „Und, wie hast du das Matrizzenproblem gelöst? Hast du Alpha mit einer Differenzialgleichung berechnet?“
Oberlippenbart, langer Mantel: „Nö, konstant angenommen. Danach war’s ein Kinderspiel!“
Da liegt die Vermutung nahe, dass „NW“ für „Naturwissenschaften“ steht. Aber eigentlich will ich ja zum GW1, also gehe ich sogleich weiter dorthin. Das GW1 ist ähnlich groß wie sein numerischer Nachfolger, jedoch nicht so hoch und mehr in die Breite gestreckt. Der größere Unterschied besteht jedoch darin, dass das GW2 in der Orientierungswoche mehr einem arabischen Basar als einem Forschungsinstitut gleicht und das GW1 gespenstische Ähnlichkeiten mit einem Leichenschauhaus hat.
Nach ein paar Fotos geht es wieder raus. Da hier niemand ist, den ich nach dem Gebäude NW2 fragen könnte, schaue ich schnell selbst nach, wo es ist, und mache mich dorthin auf den Weg. Es ist praktischer, erst das NW2 als den Hörsaal aufzusuchen, weil ich das NW1 ja schon gefunden habe. Von außen scheint das NW2 in zwei Teile geteilt zu sein – ein altmodischer, in dem die biologischen und physikalischen Fachbereiche untergebracht sind, und ein neumodischer, der dreieckig ist und augenscheinlich für chemische Versuche ausgelegt ist. An Warnhinweisen und Sicherheitsvorschriften mangelt es in keinem der Gebäude, die ähnlich undurchschaubar sind wie das GW2. Glücklicherweise kann ich trotz des gelben Rauches den Ausgang finden und komme direkt gegenüber der Mensa ins Freie.
Von dort kann ich mich schnell zum großen Hörsaal durchfragen, der den sehr treffenden Beinamen Keksdose trägt. Besonders interessant ist der Hörsaal nicht, er ist in einen hellen, oberen Teil und einen düsteren, unteren Abschnitt aufgeteilt. In beiden Bereichen sind die Treppenstufen ungleichmäßig hoch, was die Uni wahrscheinlich mehr an Krankenhauskosten durch Genickbrüche gekostet hat als an Honoraren für pseudokünstlerische Architekten. Die Sitzmöbel sind eng und in verschiedenen Stufen des Verfalls begriffen, was auch dem üblichen Klischee eines Hörsaals entspricht.
Fast geschafft!
Die letzten beiden Orte auf der Liste sind das SFG und das MZH, deren Hauptzweck ich heute noch nicht herausfinden kann, die ich jedoch beide vom Ausgang des Hörsaals aus sehe. Eine dadurch möglicherweise peinliche Befragung von Passanten ist hier nicht notwendig.
Alles in allem habe ich heute durch die Erfahrung, die Universität mit quasi unverbrauchten Augen zu sehen, einiges dazugelernt und festgestellt, dass doch die meisten Personen, die man hier trifft, aufrichtig hilfsbereit sind und über erstaunlich gute Ortskenntnis verfügen. Ich kann daher allen neuen Studenten nur alles Gute wünschen und sie bitten, sich über den desolaten Zustand der Räumlichkeiten von der Freundlichkeit der Bremer hinwegtrösten zu lassen.