Schrott im Weltraum ist ein echtes Problem – schon der Aufschlag einer umherfliegenden Schraube kann die Wucht einer Handgranate entwickeln! Bremer Wissenschaftler haben nun ein erstes System entwickelt, was dieses Problem lösen könnte.

Ein "Rendezvous" im Weltraum ist immer eine heikle Angelegenheit, die mit höchster Präzision durchgeführt werden muss, wie hier von einem Raumtransporter an der ISS. Quelle: ESA
Ein „Rendezvous“ im Weltraum ist immer eine heikle Angelegenheit, die mit höchster Präzision durchgeführt werden muss, wie hier von einem Raumtransporter an der ISS. Quelle: ESA

Unter Raumfahrt-Geeks erzählt man sich einen Witz, der ungefähr so geht: „Warum ist noch kein intelligentes Leben von anderen Planeten bei uns aufgetaucht?“ – „Weil sie nicht mehr durch die Schichten an Weltraumschrott kommen, die um ihre Planeten kreist.“

 

So langsam erreicht auch die Erde den Punkt, an dem es extrem gefährlich wird, ins All vorzudringen. Je nach Schätzung kreisen bereits 600.000 bis 700.000 Objekte mit einem Durchmesser ab 1 Zentimeter um unseren Planeten. Sie stammen aus den unterschiedlichsten Quellen: Reste von Antriebsraketen, ausgediente Satelliten, Müll aus den Raumfähren und auch mal ein Schraubendreher, den ein Astronaut im All vergessen hat.

 

Aufprall mit der Kraft einer Handgranate

 

Schon ein kleines Teil genügt, um die Internationale Raumstation ISS oder einen Satelliten mit der Kraft einer Handgranate zu attackieren. Der Grund für den gewaltigen Aufprall liegt in der hohen Geschwindigkeit: Alles Gerät rast mit mehr als 20.000 Stundenkilometern um den Globus und umrundet ihn dabei ungefähr alle 90 Minuten. Dieses Tempo ist erforderlich, um sich trotz Gravitation in der Umlaufbahn zu halten, ohne abzustürzen. Leider fliegt nicht alles in die gleiche Richtung.

 

Um den Geschossen zu entgehen, muss die ISS regelmäßig Ausweichmanöver starten. Manchen Satelliten, der dazu nicht in der Lage war, hat es schon komplett zerlegt – woraufhin natürlich noch mehr Schrott im Weltraum herumtrieb. Legendär ist auch der Crash zwischen einem toten russischen und einem aktiven amerikanischen Satelliten im Februar 2009. Totalschaden auf beiden Seiten.

 

Rendezvous im Himmel

 

Das Problem der vielen Kleinteile ist sehr schwer zu lösen. Den Größeren unter den Geisterfahrern im Weltraum kann jetzt jedoch zu Leibe gerückt werden: Wissenschaftler aus dem Technologiepark Bremen haben ein System entwickelt, mit dem defekte Satelliten entweder repariert oder vernichtet werden können. Das funktioniert direkt vor Ort im Weltraum – ein Mensch muss dafür nicht anwesend sein.

 

Auftraggeber des Projekts waren das Bundeswirtschaftsministerium und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, gebastelt und programmiert wurde in Bremen beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und bei der Firma Astrium. Gemeinsam haben sie ein sogenanntes „Rendezvous und Capture“-System entwickelt: Es ermöglicht einem Satelliten, einen strauchelnden Kollegen im Weltraum zu treffen („Rendezvous“) und einzufangen („Capture“).

 

Im nächsten Schritt kann der außer Kontrolle geratene Satellit in die gewünschte Umlaufbahn zurückgeschoben werden, oder er wird mit Hilfe eines Roboterarms repariert bzw. betankt. Wenn gar nichts mehr hilft, kann das Wrack auch zurück in die Erdatmosphäre geschubst werden, wo es dann verglüht und wenigstens keinen Müll zurücklässt.

 

Generalprobe im der „Weltraum-Explorationshalle“

 

Die Prozedur ist heikel, denn bei Geschwindigkeiten von mehr als 20.000 Stundenkilometern genügt ein kleiner unkontrollierter Stoß, um das zu rettende Objekt auf Nimmerwiedersehen in die Tiefen des Weltalls zu jagen. Die Bremer Wissenschaftler haben sich daher insbesondere mit der Bildverarbeitung und Sensorik befasst – der erste Griff nach dem Satelliten muss sofort sitzen. Der Verfolger muss daher alle Bewegungen des Verfolgten erkennen und sofort nachvollziehen.

 

Die Generalprobe auf der Erde hat das System bereits bestanden. Getestet wurde in der „Weltraum-Explorationshalle“ auf dem Gelände des DFKI im Technologiepark. Dort ist nicht nur ein Mondkrater originalgetreu nachgebaut, um mit Weltraumrobotern das Laufen in schwierigem Terrain zu üben, sondern in der zehn Meter hohen Halle besteht auch die Möglichkeit, Satelliten zu testen. Gleißende Scheinwerfer und schwarze Theaterfarbe sorgen für originalgetreue Lichtverhältnisse. Für die Kamera-Augen und deren Software stellt das noch einmal eine besondere Herausforderung dar.

 

Weltraum-Müllabfuhr noch zu teuer

 

Im Praxistest haben sich die „Rendezvous-and-Capture“-Technologien nun bewährt – die Annäherung hat reibungslos geklappt. Wann das erste Manöver im All durchgeführt wird, ist noch unklar. So eine Mission ist nicht ganz billig, daher wird es auch zunächst keine allgemeine Weltraum-Müllabfuhr geben.

 

Aber wenn der eine oder andere Satellit vor der Verwahrlosung gerettet wird, ist das auch schon ein Beitrag dafür, dass der Mensch als erstes intelligentes Wesen sein Schrottproblem in den Griff bekommt, bevor es zu spät ist…


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