Finanzkrise, Ressourcenverknappung,… Kann es auch eine Wirtschaft ohne Wachstum geben? Dieser spannenden Frage widmet sich Prof. Niko Paech von der Uni Oldenburg.
Prof. Dr. Niko Paech erfreut sich einer Sammlung an Titeln, bei der selbst „Kaiser“ Franz Beckenbauer ein wenig eifersüchtig werden könnte. Der Oldenburger Volkswirtschaftler, der zum Konsumverzicht aufruft, wurde beispielsweise schon als „Prophet des Weniger“ und als „Lichtgestalt der Postwachstumsdiskussion“ bezeichnet. Untermauert hat er seinen Status als ernstzunehmender wissenschaftlicher Querdenker im Februar 2014 durch den Erhalt des „Zeit Wissen-Preis Mut zur Nachhaltigkeit“, der mit 10.000 Euro dotiert ist und vom Hamburger Zeit-Verlag vergeben wird.
Niko Paech ist seit 2010 außerplanmäßiger Professor für „Produktion und Umwelt“ an der Universität Oldenburg und Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ). In seinem aktuellen Buch „Befreiung vom Überfluss“ klagt er einen konsequenten Klimaschutz ein, der nur durch eine Reduktion globaler Mobilität und einen deutlich reduzierten Ressourcenverbrauch möglich sei. In seiner Forschung widmet sich Paech dem Wandel, der für eine Wirtschaft ohne Wachstum notwendig ist.
Volkskrankheit „Konsumverstopfung“
Dabei ist ihm eines wichtig: Er versteht die Abkehr vom rein materiellen Wohlstand nicht als Verzicht oder Verlust, sondern als Gewinn von Lebensqualität. Er spricht daher vom „Wohlstandsballast“, den jeder von uns mit sich herumschleppe. Das Bundesumweltministerium habe gezählt, dass jeder Deutsche im Schnitt 10.000 Dinge besitzt. „Glauben Sie im Ernst, dass die alle notwendig sind?“, fragte er einen Interviewer des „Tagesspiegel„. Es handele sich dabei um eine Krankheit, die er „Konsumverstopfung“ nennt.
Laut Paech deuten Studien darauf hin, dass die Menschheit dauerhaft nur überleben kann, wenn sie dem unendlichen Wachstum abschwört. Selbst der technische Fortschritt und das „grüne Wachstum“ mit Technologien wie Windenergie oder Solartechnik seien keine ausreichende Lösung, denn auch sie kämen mit negativen Begleiterscheinungen einher.
Nur noch 20 Stunden pro Woche arbeiten
Der Wissenschaftler geht daher mit gutem Beispiel voran. Er benutzt weder Flugzeug noch Auto, hat kein Einfamilienhaus, kein Smartphone und verzichtet bereits seit 1979 auf Fleisch. Stattdessen geht er lieber auf Konzerte, macht selbst Musik und trifft sich mal auf ein Bier. Das Erstaunliche an diesem Leben sei, dass der Konsum dabei tatsächlich aufgewertet werde – denn er geschehe bewusster, sagt Paech.
Er nennt noch einen zweiten positiven Aspekt der „Postwachstumsökonomie“: Laut seiner Prognose werden Menschen in Zukunft nur noch 20 Stunden pro Woche arbeiten müssen, jedenfalls in ihrem bezahlten Job. „Die übrigen 20 Stunden dienten nicht nur der Freizeit, sondern auch der kreativen Selbstversorgung: Anbau von Obst und Gemüse, Ausbesserungs- und Reparaturarbeiten, Eigenproduktion …“.
Manche Güter und Dienstleistungen würden viel weniger gebraucht, als sie tatsächlich gekauft werden, beispielsweise Bohrer. Diese könnten problemlos zwischen mehreren Haushalten geteilt werden.
Tausch: Kant-Vortrag gegen Fahrrad-Reparatur
Auch der Tausch von Waren und Dienstleistungen sei erstrebenswert. Das würde laut Paech selbst ein „völlig verkopfter Mensch“ überleben, der über keine handwerklichen Fähigkeiten verfügt. „Warum soll jemand nicht zu einem Vortrag über Immanuel Kant in den eigenen Garten einladen – im Austausch gegen eine Fahrradreparatur? Oder einem Nachbarn helfen, das Betriebssystem Linux zu nutzen?“ Jedem sollte es möglich sein, sich in den 20 Stunden außerhalb der Erwerbsarbeit zwei bis drei moderne Fähigkeiten anzueignen, die er in seinem lokalen Netzwerk einsetzt.
Zunächst würde dies für Viele zu einem gefühlten Freiheitsverlust führen, räumt Paech ein, weil sie plötzlich regelmäßig mit ihren Nachbarn verhandeln müssen, statt einfach in den Laden zu gehen und Geld auf den Tisch zu legen. „Aber eine Freiheit zu propagieren, die langfristig nicht verantwortet werden kann, halte ich für unaufgeklärt. Im Übrigen besteht eine der Verrücktheiten heutiger Gesellschaften darin, dass wir uns einerseits durch Kaufkraft von anderen Menschen unabhängig machen wollen, andererseits aber viel Zeit bei Facebook verbringen, um uns dann über die digitale Hintertür als soziale Wesen zu fühlen. Langfristig könnte die Zunahme persönlicher Kontakte bei gleichzeitiger Entschleunigung der Lebensweise die Menschen glücklicher machen.“
„Bin kein Partyschreck“
Der 53-Jährige ist sich bewusst, dass es in absehbarer Zeit keine politische Mehrheit für ein solches Wirtschaftsmodell geben wird. „Ich sehe vor allem zwei Tendenzen, die für eine Postwachstumsökonomie arbeiten“, sagt er. „Zum einen schleichende Zusammenbrüche bestimmter Teilsysteme – denken wir an die Finanzkrisen, die Ressourcenverknappung oder die nächsten Zeichen des Klimawandels. Zum anderen haben sich bereits kulturelle Avantgarde-Bewegungen gebildet, die alternative Lebensweisen praktizieren.“
In seinem persönlichen Umfeld ist er nach eigenen Angaben trotzdem nicht als humorloser Asket bekannt, der andere permanent auf ihre nicht nachhaltige Lebensweise hinweist. „Das würde ohnehin nichts bewirken, zumal nicht schlaue Reden, sondern nur vorgelebte Praktiken glaubwürdig sind. Nur wer mich fragt, bekommt eine Antwort. Ich bin kein Partyschreck, der anderen Vorwürfe macht.“
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