Der Wohnort hat Auswirkungen auf die Höhe der Gebühr, die jemand für seine Autoversicherung zahlt – daran haben sich die meisten Menschen wohl gewöhnt. Aber dass die Postleitzahl auch über die Lieferung eines Kühlschranks oder den Abschluss eines Mobilfunkvertrags entscheiden kann, ist für Viele schon schwieriger nachzuvollziehen. Genau das ist inzwischen jedoch täglich der Fall. […]
Der Wohnort hat Auswirkungen auf die Höhe der Gebühr, die jemand für seine Autoversicherung zahlt – daran haben sich die meisten Menschen wohl gewöhnt. Aber dass die Postleitzahl auch über die Lieferung eines Kühlschranks oder den Abschluss eines Mobilfunkvertrags entscheiden kann, ist für Viele schon schwieriger nachzuvollziehen.
Genau das ist inzwischen jedoch täglich der Fall. Kunden warten vergeblich auf die Lieferung eines elektronischen Geräts, weil sie im falschen Stadtteil wohnen, oder ihnen wird der Vertragsabschluss schlicht verweigert. Der Grund dafür wird selten offen ausgesprochen – oft ist es den Mitarbeitern der Firmen sogar verboten.
Studierende der Hochschule Bremen sind diesem Phänomen im Rahmen des Fachjournalistik-Projekts „Augen auf Bremen“ auf den Grund gegangen. „Damit Unternehmen die finanzielle Durchsicht haben, greifen sie zu drastischen Maßnahmen: Wer etwas kaufen will, der muss sich erst durchleuchten lassen. Ohne es zu wissen“, schreiben sie. „Scoring nennt sich das, wenn bei der Bonitätsprüfung verschiedene Faktoren untersucht und eingeschätzt werden.“
„Ganze Stadtteile werden vorverurteilt“
Geo-Scoring gehe noch einen Schritt weiter: „Ganze Stadtteile werden vorverurteilt und mit ihnen jeder, der darin wohnt. Statistiken der Polizei spielen ebenso in die Bewertungen wie die Zahl der Migranten. Die individuelle Bonitätsprüfung wird dadurch ad absurdum geführt.“
Nach Angaben der Studierenden hat eine Auskunftei – das sind die Firmen, die solche „Scores“ erstellen – die Daten aufgeschlüsselt, die über eine Kommilitonin erhoben wurden. Mangels einer Kredithistorie sei die Adresse der wichtigste Faktor gewesen, ergänzt um persönliche Daten und Angaben über das Gebäude, in dem sie wohnte (Baujahr und Zahl der Bewohner). Aus diesem Statistik-Cocktail wurde errechnet, dass sie ihre Mobilfunkrechnung mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent bezahlen würde. Das ist weit überdurchschnittlich hoch, allerdings wurde sie als Kundin von O2 trotzdem abgelehnt.
Die Studierenden sind angesichts dieser Methoden sehr skeptisch: „Man nehme also einen vollständigen Namen, die dazugehörige Adresse, im bestmöglichen Fall ein Geburtsdatum und das Geschlecht, ergänze diese Daten um vorhandenes Wissen über die Nachbarschaft, das Wohnhaus und andere Statistiken – und schon kann man beurteilen, ob jemand eines Handyvertrages oder eines Kredites würdig ist.“
Schutz der ehrlichen Kunden
Aus Sicht vieler Unternehmen sieht das natürlich anders aus. Das System helfe, die Kosten für ein Produkt niedrig zu halten, weil die ehrlichen Kunden so weniger säumige Zahler durchschleppen müssen. Und es werde auch verhindert, dass einige Menschen sich immer tiefer in die Schuldenspirale begeben. Nach Recherchen des Studierenden-Teams von der Hochschule Bremen müssen die Auskunfteien auch nachweisen, dass die verwendeten Daten wissenschaftlich relevant sind. Das liegt natürlich auch im Interesse der Unternehmen, die ihre Produkte ja grundsätzlich verkaufen wollen.
Aus Sicht der ehrlichen Kunden, die aufgrund ihrer Postleitzahl mit Delinquenten in einen Topf geworfen werden, ist das ein schwacher Trost. Der Verbraucherzentralen-Bundesverband hat daher jetzt eine Umfrage gestartet, um Erfahrungen mit Auskunfteien abzufragen. Falls Du Gutes oder Schlechtes zu berichten hast – hier geht’s zur Umfrage.